8. März bis 16. April 2013
Rosemarie Trockel, die im Sommer 2012 im Museum Schloss Morsbroich ausgestellt hat, hat uns Ihren ehemaligen Schüler Tobias Hoffknecht empfohlen. Ein Ausnahmetalent.
Jeder Betrachter reagiert aus seinem Kontext, aus seiner Erfahrung, mit seiner Fantasie anders auf die Skulpturen. Die Skulpturen vermitteln keine direkten Botschaften, keine formulierbare Aussage!
Tobias Hoffknecht: Dabei ist mir auch die Ausstellung an sich sehr wichtig! Im Zusammenspiel der Arbeiten miteinander entsteht wiederum eine eigenständige Arbeit.
Eine ästhetische, meditative und minimalistische Ausstellung, die uns fordert.
Rosemarie Trockel: Eben nicht ganz leicht zu verstehen, aber diese Leere führt tiefer in die Bedeutung des Werkes. Ich bin ganz angetan von dieser schonungslosen Ausstellung.
Tobias Hoffknecht versucht durch seine Skulpturen SITUATIONEN zu schaffen, die eine ANWESENHEIT ausdrücken. Eine Anwesenheit wovon ?
Es entsteht eine Atmosphäre in der SITUATION UND SKULPTUR im Dialog sind. Es entsteht ein neues OBJEKT – eine SKULPTUR die wir situativ erfahren können.
Situationen werden skulptural, Skulpturen situativ.
Den Räumen des Leverkusener Kunstvereins begegnet Tobias Hoffknecht mit drei Skulpturen. Diese besetzen zunächst Bereiche des eigenen Lebensraums und der Wohnumgebung: die Wand als Bild- und Blickfläche, die untere Hälfte der Wand, dort wo Dinge aufbewahrt und ausgestellt werden, sie erstrecken sich auf dem Boden und im Raum; sie stellen vertraute Konstellationen nach, die mögliche Kommunikationen und Situationen erinnern. Hier eine schmale weiße Acrylglasplatte mit aufgesetzten Tischbeinen, die sich an die Wand schmiegen und gleichsam über das Format hinausstreben, dort eine Ebene aus Granitplatten mit Zwischenraum, denen – schmal und leicht – zwei Funierholzstücke aufgelegt wurden, die aus der Fläche in den Raum vorstoßen. Inmitten des Raumes sind zwei Readymades platziert, als Fundstücke spätmoderner Wohnkultur, in ihrer Form und Struktur belassen und einer Bodenplatte gegenübergestellt, welche die fotografische Oberfläche eines Bühnenbodens zeigt und auf ein schmales Podest montiert wurde.
Indes entsteht mit ihrer Materialität und im losen Zusammenfügen der Elemente, die ihre eigene Form behaupten, eine größtmögliche Offenheit und flirrende Unruhe. Hoffknechts Skulpturen ist der Entstehungs- und Entlehnungsprozess als eine zeitliche Spur eingeschrieben. So wird die Skulptur nicht in klassischen Kategorien als Körperbildnerin gegenüber der Architektur als Raumbildnerin begriffen, sondern in seinen Arbeiten werden die Grenzen zwischen Raum und Körper, Rahmen und Form, Struktur und Essenz brüchig, geraten in Schwingung und Bewegung. Hier vollzieht sich skulpturales Denken gemäß Lázló Moholy-Nagys Verständnis von Skulptur als Arbeit am Volumen, als offenes Raumgefüge, das über verschiedene Phasen der Gestaltung in Bewegung versetzt und seiner Masse enthoben wird.
Da Tobias Hoffknecht seit dem letzten Jahr wieder von der Zeichnung und der Skizze her seine Skulpturen denkt und umgekehrt über die skulpturale Beschäftigung seine Zeichnungen entwickelt, zeigen sich seine Arbeiten nicht als Setzungen, sondern sind im Prozess der Bewegung und Entwicklung gedacht. Seine Arbeiten bezeichnet er als „Sets.“ Der filmische Begriff für Orte des Films und Studiobauten fasst nicht nur prägnant das lose Zusammenfügen für die Dauer einer Ausstellung oder einer skulpturalen Auseinandersetzung zusammen, sondern wird symptomatisch für einen Schauplatz, an dem Aktion und Reflexion, Betrachter/innenansprache und Einbeziehung einer wahrnehmenden Instanz stattfindet. Sets haben etwas Modell- und Bühnenhaftes inne, sie sind für eine filmische Sequenz oder einen theatralen Moment konstruiert, sie erfordern die Präsenz und Rezeption durch Personen. Darüber hinaus fordern sie diese auch heraus, sich zu den geschaffenen situativen Orten zu verhalten, Position zu beziehen. Und dies ist das Gewagte und Unsichere an Tobias Hoffknechts skulpturalen Sets: sie rahmen nicht einfach die bekannte Umgebung oder besetzen den Ort, sondern sie zeigen sich janusköpfig: gleichsam minimalistisch und schonungslos, offen und herausfordernd, das Vertraute verwendend und in unbekanntes Terrain vorstoßend.
So werden bei seiner noch nicht betitelten Bodenarbeit von 2012 die zwei einander gegenüber platzierten Sitzgelegenheiten durch die fotografische Replik eines Bühnenbodens mit einer aufgesetzten weißen Leerfläche ergänzt, der als Latexdruck auf schimmerndem Aluminium wiederum auf ein setartiges Podest gehoben wurde. Das Gefüge lässt die vis à vis gestellten Sitzgelegenheiten sowohl als Raumgerüst und abstrakte Struktur wie auch als Ort eines möglichen kommunikativen Austauschs erscheinen. Der gebaute Boden bildet im doppelten Sinne die Verortung der fast szenischen Anordnung ohne Akteure: zum Einen als reale Replik eines theatralen Schauplatzes, der sogar das Bühnenlicht wie auch die Spuren der schauspielerischen Aktion nachgezeichnet zeigt, zum anderen als Modell und zusätzlich neben der offenen Sitzmöglichkeit als Aufforderung für ein Ausagieren vor Ort. Der Begriff des Gefüges gibt neben demjenigen des Sets oder Settings für Tobias Hoffknechts Arbeiten weiteren Aufschluss: Denn es lässt sich einerseits als innere Ordnung definieren und wurde andererseits von Gilles Deleuze und Felix Guattari in ihren Tausend Plateaus thematisiert, nicht nur als Kristallisationsmoment, sondern auch als eine veränderliche und verflüssigende Instanz, die das Werden, den Übergang miteinschließt – wie Elke Bippus dies formuliert hat. Im Prinzip des Gefüge sieht sie eine kritische Resonanz der Veränderung verwirklicht, die Theorie und Ästhetik wechselseitig miteinander verschränkt.
Die Arbeiten Tobias Hoffknechts, der bei Rosemarie Trockel experimentelle Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf studiert hat, öffnen sich einem inneren Dialog, indem ihre Titel oftmals eine Frage oder Feststellung formulieren, die ein Weiterfragen erfordern, um den Arbeiten näher zu kommen. So vermeine ich eine Performanz der Arbeiten selbst zu erkennen: „Wie hoch ist das Haus?“ äußert die weiße Wandarbeit mit den abgenommenen und versetzt platzierten Stuhlbeinen von 2013. Oder die im ersten Raum zu sehende zweiteilige Granitplattenskulptur aus diesem Jahr wispert „Es ist leicht im Dunkeln.“ Sich die Skulpturen im Raum als Akteure vorzustellen ist meines Erachtens nicht vermessen formuliert, da bei den drei Werken nicht nur ein Vordringen in den Betrachterraum stattfindet, sondern sie gemäß der Bildakttheorie Horst Bredekamps als Kunstwerke selbst performativ agieren und die Ordnung von Subjekt und Objekt umkehren.
Doch mit einer aktiven Rolle der Skulpturen Tobias Hoffknechts – durch die das grundlegende Verhältnis von Betrachterinstanz wie Kollektiv, von Raum und skulpturalem Werk neu befragt wird – geht zugleich aufgrund ihrer Anordnung ein anderes Moment einher: Die Materialien und Formen seiner Arbeiten bleiben für eine Spiegelung offen, dergestalt, dass sie andererseits auch zu Projektionsflächen werden. Und zwar nicht primär als visuelle Projektionsflächen, sondern im Sinne Vilém Flussers, als Aktivität des Denkens und des Entwerfens. Dafür halten sich die Skulpturen bereit. Die Projektion scheint als Dimension in allen hier gezeigten Arbeiten durch.
Siegfried Zielinski hat in seiner Untersuchung zur Projektion von Entwerfen und Entbergen gesprochen, als philosophische Kategorien, die einerseits mit dem Entwerfen auf Zukünftiges, auf ein Vollziehen oder Verwirklichen verweisen, andererseits mit dem Entbergen auf ein Erkennen und Hervorbringen anspielen, zwischen denen sich bei Zielinski das Subjekt, bei Hoffknecht die Skulpturen bewegen. Letztere sind in einem Zwischenbereich angesiedelt, der die zeitlichen Prozesse mit einem aktivierten Gegenüber ständig neu anstößt.
„Auf den Sitzen“ – so heißt der Titel von Tobias Hoffknechts erster Einzelausstellung im Kunstverein Leverkusen. Ein Ort, eine Zustandsbeschreibung und eine Situation kommen hier zusammen und lassen im Dunkeln wohin das Wagnis der eigenen Einlassung führen wird.
Lilian Haberer
Kurzbiographie Tobias Hoffknecht
1987 geboren in Bochum
2007 Abitur
2007 – 2013 Studium freie Kunst an der Kunstakademie Düsseldorf
2008 - 2013 bei Rosemarie Trockel
Stipendien
2009 Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes
Ausstellungen
2009 Gruppenausstellung, Köln “Nothing is wrong if it feels good”
Gruppenausstellung, Den Haag “eternity is a mere moment just long enough for a dream”
2011 Gruppenausstellung, Akademie Düsseldorf