Anke Röhrscheid

22.04. bis 25.05.2008

Fotografie – Aquarell

„Geisterhaft entrückt und zugleich bis in feinste Details hinein präsent erscheint die Formenwelt, die Anke Röhrscheid in ihren minutiös auf Papier angelegten, meist kleinformatigen Bildern vorführt. Die vielfältig ineinander verschlungenen Gebilde sind einerseits als abstrakte ornamentale Verdichtungen lesbar, wecken aber andererseits unmittelbare Assoziationen an pflanzliche Formen oder auch an Geschlechtsorgane.
Man mag an botanische Illustrationen denken oder an ein mikroskopisch kleines, hier bereits um ein vielfach vergrößertes Universum. Aber immer wieder ist man als Betrachter bestrebt, figurative oder emotionale Momente hineinzulesen, als ob die organoiden Gebilde sich umarmten oder eine Form die andere in eine Fesselung verstickte. Immer wieder führen uns Anke Röhrscheids Bilder in eine "Falle" hinein, die John Ruskin, der berühmte englische Kunstschriftsteller des 19. Jahrhunderts, als das große Manko der romantischen Kunst- und Naturauffassung ansah. Die Romantiker würden nämlich, anders als der von ihm gefeierte William Turner, eigene Gefühle in die äußere Natur projizieren und unterlägen damit einem "Pathetic Fallacy".

 

Seine Beispiele entnimmt Ruskin zwar vor allem der Literatur, aber er könnte auch die romantische Landschaftsmalerei im Visier gehabt haben, wenn sie, wie Friedrich oder Constable. beispielsweise Bäume wie beseelte Individuen "porträtierte", die ein persönliches Schicksal und Lebensalter haben. Die Vermenschlichung der Natur sei nur dann ein angemessenes Stilmittel, wenn über die Naturphänomene selbst gar nichts ausgesagt werden soll und sie lediglich zur Beschreibung innerer Zustände diene. Während vielen Zeitgenossen besonders die späten Werke Turners als unentzifferbare schmutzige Schmierereien erschienen, sah Ruskin in der Auflösung des Gegenstandes die Annäherung an ein voraussetzungsloses Sehen, das die Erscheinungen ungetrübt durch erlerntes Wissen unmittelbar erfassen könne. Mit solch einer Sehnsucht nach dem "unschuldigen" Auge stand Ruskin im 19. Jahrhundert nicht allein. Auch Cézanne war von ihr beseelt, als er den Wunsch äußerte, die Welt wie ein Neugeborener sehen zu können. Hinter dem voraussetzungslosen Sehen stehen allerdings Kunstbetrachter, die sich gleichsam bedürfnislos an der bloßen Existenz visueller Phänomene erfreuen - eine Auffassung, die noch in der reinen Geometrie der Minimal Art zum Ausdruck kommt. Wie Brian O´Doherty in seinen Aufsätzen über den White Cube dargelegt hat, steht auch hinter der Neutralität des solche Werke umgebenden Ausstellungsraumes die Idee eines Betrachters, der nur Auge ist und keinen - begehrenden - Körper hat.
Allerdings gab es auch Richtungen der modernen Kunst, die sich an Ruskins Verdikt nicht gehalten und den Pathetic Fallacy der Romantik differenziert weiterbetrieben haben, und an deren Errungenschaften man an Anke Röhrscheid, ohne dass direkte Anknüpfungen oder gar Zitate vorliegen, mitunter denken mag. Dies gilt für die atmosphärisch entrückte Welt der Symbolisten, die bis dahin, wie bei Odilon Redon, von wissenschaftlichen Beobachtungen durchs Mikroskop inspiriert war, oder an die polymorph mutierenden, oft direkt sexuelle Konnotationen enthaltenden Formen der Surrealisten. Der Welterfolg, den die aus der Tradition des Surrealismus herausarbeitende und bis dahin wenig bekannte Luise Bourgeois seit den 1980er Jahren feiern kann, ist vielleicht das beste Beispiel für die Wiederkehr des in abstrakt-minimalistischer Reinheit Verdrängten. Auch Robert Gober oder Mike Kelley versetzen uns in eine Formenwelt, der ein begehrendes und kein interesseloses Subjekt zugrunde liegt. In dieser auch von psychoanalytischem Gedankengut inspirierten Tradition ist, wenn überhaupt, das keinem heutigen Trend zuzuordnende Werk Anke Röhrscheids zu sehen. Ihre sich uns nicht mit Vehemenz entgegentretende, sondern mit einer fast an Miniaturmalerei gemahnende Akkuratesse zum geduldigen Hinsehen auffordernde Kunst versucht uns auch nicht in bestimmte Interpretationen hineinzudrängen, sondern versetzt uns in einen offenen Denkraum,in dem auch Fantasien entstehen können, die man öffentlich ungern kundtun würde.“

(Ludwig Seyfarth, April 2008)

 

 

Biographie

1965

geboren in Erfurt

1992-98

Staatl. Hochschule für Bildende Künste, Städelschule, Frankfurt/M.
Klasse Hermann Nitsch

1998

Abschluss des Studiums als Meisterschülerin bei Hermann Nitsch

lebt und arbeitet in Frankfurt/M.

Förderungen und Stipendium

Rudi-Seitz-Kunstpreis
Frankfurter Künstlerhilfe e.V./Jahresstipendium
Budapest Stipendium der Stadt Frankfurt/M.
Deutsche Bank
Paribas Bank, Frankfurt/M.
Graphische Sammlung Städelmuseum, Frankfurt/M.
Zonta Contemporary Art Prize
Hessisches Landesmuseum, Darmstadt
 


Ausstellungen (Auswahl)
 

2007

„Undercover“, Galerie Martina Detterer, Frankfurt/M.

2006

„Lucie Beppler, Anke Röhrscheid, Elly Strik“ (kuratiert von Dr. Jean-Christoph Ammann), Kunsthalle Palazzo, Basel
„FOKUHILA" (kuratiert von Ludwig Seyfarth), Galerie Elly Brose-Eiermann, Dresden Galerie für aktuelle Kunst Deck, Stuttgart
„Summer in the City", Galerie Martina Detterer, Frankfurt/M.„Amor Vincit Omnia" (kuratiert von Dr. Dadja Altenburg-Kohl), Verein Saarländische Galerie - Europäisches Kunstforum e.V., Berlin
„Meisterzeichnungen" Galerie Lang, Wien

2005

„Ivory Black“, Karmeliterkloster, Frankfurt/M.

2004

„Innocent Nature“, Pfefferwerk, Berlin
Oberhessisches Museum, Gießen

2001

Contemporary Art Studio, Budapest